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"Das primitive Denken ist katathym"

Eine Tagung über literarischen Primitivismus im frühen 20. Jahrhundert

19.11.2010

Tagungsplakat "Literarischer Primitivismus im frühen 20. Jahrhundert"

Tagungsplakat "Literarischer Primitivismus im frühen 20. Jahrhundert"
Bildquelle: Abbildung: Hermann Beil, Sakrale (Götzen-)Figur, Abbildung 139 in: Hans Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken, Wien/New York: Springer, 2001.

Leitung und Konzeption: Nicola Gess

19.-20. November 2010

Zur ambivalenten Vorgeschichte der gegenwärtig viel diskutierten Territorialität von Sprache und kulturell-sozialer Praxis gehören die Konstruktionen des "Fremden", wie sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Ethnologie unternommen werden. Prägend für sie ist die Verschränkung von vermeintlichem Faktenwissen und Fiktionen, die oft genug auf literarische Verfahren zurückgreifen. Im Zentrum steht dabei ein Spiel der Projektionen, in dem prekäres "Eigenes" ins "Fremde" ausgelagert und von dort, nunmehr verfremdet, ins Eigene zurückgeholt wird.

In der Bildenden Kunst wird die Inspiration durch den so konstituierten fremden Kulturraum seit langem unter dem Begriff des "Primitivismus" gefasst, dessen Geltung als terminus technicus in der Kunstgeschichte unumstritten ist. Anders sieht es jedoch in der Literaturwissenschaft aus. Ob überhaupt und, falls ja, inwiefern man auch für die moderne Literatur von einem Primitivismus sprechen kann, ist offen und wird gegenwärtig viel diskutiert. Das liegt nicht zuletzt an der Unterschiedlichkeit des Materials: scheinbar universal verständliche und exportier- oder reproduzierbare Skulpturen und Bilder lassen sich vermeintlich leichter nachahmen als orale Literatur in einer kaum übersetzbaren Sprache.

Trotzdem lässt sich, so die These des projektierten Workshops, ein literarischer Primitivismus ausmachen, auch und gerade in Abgrenzung von dem der Bildenden Kunst. Er nimmt seinen Ausgang von humanwissenschaftlichen Konstruktionen einer "primitiven" Mentalität, die sich in Wahrnehmung, Denken und Weltauffassung der so genannten "Primitiven" äußere und in der die Ersetzung logischer durch emotionale Zusammenhänge ("Katathymie") eine entscheidende Rolle spiele. Nicht nur als Gegenstand, sondern auch als Strukturprinzip sind diese emotionsorientierten Konstruktionen einer "primitiven" Mentalität für die moderne Literatur von großer Bedeutung, ob in Form einer Affirmation, produktiven Weiterentwicklung oder kritischen Absetzung.

Programm

Programm zum Download

Freitag, 19. November

Kultur und Atavismus. Zur Konzeption des Primitiven um die Jahrhundertwende
Michael Frank (Konstanz)

Afrikanische Spiele oder die Topographie des Primitivismus
Helmut Lethen (Wien)

Primitivismus und Literaturtheorie
Marcus Hahn (Siegen)

Analoge Kulturen. Der Primitivismus und die Frage der Schrift um 1900
Sven Werkmeister (Bogotá)

Primitivismus in den Bildtheorien des 20. Jahrhunderts
Iris Därmann (Berlin)

Die Sprache des Ornaments
Doris Kaufmann (Bremen)

Samstag, 20. November

Die Vorgeschichte moderner Primitivismus-Konzepte? Konjekturen über eine primitiven Mentalität im 18. Jahrhundert
Lucas Marco Gisi (Basel)

Tödliche Präsenz. Primitivismus in Hofmannsthals „Elektra“
Sabine Schneider (Zürich)

Vom Heute über das Vorgestern ins Übermorgen. Neoprimitivismen in der russischen Avantgarde um 1910
Aage Hansen-Löve (München)

Mário de Andrade: Lehrling in Sachen Primitivismus
Susanne Klengel (Berlin)