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Der Sinn für Angemessenheit. Gefühle und Normativität (213)

Projektleitung:

Emotionen zeigen, was für uns wichtig und wertvoll ist. Ermöglichen sie deshalb auch normative Orientierung? Oder sind wir ausschließlich aufgrund von Einsicht an Normen gebunden?

Das Projekt untersucht,
  • wann Emotionen angemessen sind,
  • wie Vorstellungen über Angemessenheit ausgebildet werden (kulturelle Normierung von Gefühlen; Affektregulation),
  • ob für die Bindung an moralische und nicht-moralische Normen Gefühle als eine Art emotionaler Kitt oder als Sanktionen eine Rolle spielen, und
  • wie die Kompetenz auf den Begriff zu bringen ist, die zur Orientierung in Situationen mit wertenden Aspekten erforderlich ist.

Reicht dafür die Sinneswahrnehmung, verbunden mit Urteilen und Überzeugungen, aus? Oder ist für das Erfassen des Ganzen der Situation bereits eine Art emotionales Vermögen, der Sinn für Angemessenheit als Disposition, erforderlich?

Normen gelten übersubjektiv und situationsübergreifend, während der Sinn für Angemessenheit das Gespür für das Spezifische einer Situation bezeichnet, die Kompetenz, mit einer gewissen Elastizität auf wechselnde Bedingungen geschmeidig reagieren zu können. Er bezeichnet ein kreatives Vermögen zur Situationsbewältigung, das neue Handlungsmöglichkeiten zu etablieren vermag, und ist z.B. eine Voraussetzung dafür, Brüche in Literatur und Kunst in ihrer avantgardistischen Funktion und nicht bloß als Tabubruch wahrnehmen zu können.

Der Sinn für Angemessenheit kann als Taktgefühl, Fingerspitzengefühl oder Rechtsgefühl (Sinn für Ungerechtigkeit) ausgebildet und kultiviert werden. Nimmt man seine Funktionen im Recht, in der Moral, den Künsten und der Alltagsorientierung ernst, so wird deutlich, dass die philosophische Emotionsforschung viele Konzeptionen modifizieren kann, die auf den ersten Blick nicht mit Gefühlen verbunden sind, wie Sinneswahrnehmung, Ästhetik, Rationalitätsbegriff und Moralbegründung.

Publikationen

Landweer, H. (2011). Der Sinn für Angemessenheit als Quelle von Normativität in Ethik und Ästhetik. Andermann, K., Eberlein, U. (Eds.). Gefühle als Atmosphären. Neue Phänomenologie und philosophische Emotionstheorie. 57-78. Berlin: Akademie Verlag.